From Without And From Within (The Auroville Project)

Christoph Draeger, Heidrun Holzfeind

Ausstellungsansicht. Foto: WEST.Fotostudio

Eine goldene Raumstruktur, ein geodätischer Dom, steht im Zentrum des Kunstpavillons. Im Inneren der sphärischen Kuppel befinden sich wie in einem kleinen Amphitheater mit Kissen bestückte Sitzreihen, die die Besucher_innen dazu einladen, sich dort niederzulassen.
Christoph Draeger und Heidrun Holzfeind präsentieren in der Ausstellung From Without And From Within (The Auroville Project) das Ergebnis ihrer dreijährigen Recherche über die 1968 gegründete südindische Stadt Auroville und die sozial-utopischen Ideen, die dort seither versucht werden in den Lebensrealitäten der Bewohner_innen realisiert zu werden. Sie laden dazu ein Videos, Bücher und Archivmaterial zu sichten und Ideen und Vorschläge für ein gemeinschaftliches Leben in der Zukunft zu diskutieren. Noch ohne Die Goldene Kuppel, wie die beiden Künstler_innen den Dom nennen, zu betreten, erhält man gleich links neben dem Eingang durch die Arbeit LIFE WITHOUT MONEY, einer Gouache auf die ein historisches Pressefoto und Text collagiert sind, erste Hinweise auf die Gesellschaftsform, die in Auroville seit fast 50 Jahren potenziell umgesetzt wird: „LEBEN OHNE GELD, Pondicherry, India: Der hier ansässige Chefarchitekt, der in Frankreich geborene Roger Anger, hat diese Basiswohneinheiten für die neue Gemeinschaft von ‚Auroville‘ in der Nähe von hier entworfen. Die Hütten sind aus Beton, Stahl, Holz, Asbest und Dachstroh gefertigt, um den Menschen, die hier leben, ein einfaches, günstiges Obdach bereitstellen zu können.“

Im Inneren des Doms gibt das Video The Auroville Archives Auskunft über die Gründung der Stadt durch „die Mutter“, wie die gebürtige Französin Mirra Alfassa bis heute genannt wird, die „Charta“, die als „Verfassung“ Aurovilles in 16 verschiedene Sprachen übersetzt wurde, und die Ausgangsidee, ein Labor für neue Arten des gesellschaftlichen Zusammenlebens für 50.000 Einwohner_innen zu schaffen. Der Archivar von Auroville, der Stadt der Zukunft, berichtet von einem modernen Stadtstaat, in dem es kein Geld gibt und auch kein Gefängnis, dafür aber Essen, Unterkunft und Kleidung für alle.

Es geht um eine spirituelle Lebensform, ohne Religionen, bei der Bildung im Zentrum steht. Wissen wird in einer „glücklichen“ Umgebung vermittelt, in der man lernt „zu sein“. Das lebenslange Lernen und das Streben nach Selbsterkenntnis werden durch das Wahrzeichen der Stadt, das gleichzeitig ein Ort zur Meditation ist, symbolisiert. Das Matrimandir ist eine riesige goldene Kugel, ebenfalls eine geodätische Struktur, die als Seele Aurovilles bezeichnet wird. Christoph Draeger und Heidrun Holzfeind zeigen im linken Seitenflügel des Kunstpavillons die Fotoinstallation Growing Within, abfotografierte Archivbilder sowie aktuell entstandene Farbfotografien. Auf den historischen und aktuellen Fotografien finden sich neben dem Matrimandir modernistische Bauten, einfache Hütten und Situationen aus der Stadt, weitere geodätische Bauwerke für Behausungen oder Gewächshäuser. Wegen ihrer einfachen, aber ausgesprochen stabilen Konstruktion sind die futuristisch anmutenden Raumstrukturen bei Menschen, die alternative Lebensformen bevorzugen, sehr beliebt und auch die US-amerikanischen Hippies nutz(t)en diese Bauweise. Die Goldene Kuppel von Draeger und Holzfeind ist fruchtbarer Boden, es wachsen dort vielfältige Pflanzen – Mais, Papaya oder verschiedene Bohnensorten beispielsweise –, die für die beiden von den Bundes-gärten Innsbruck aus Samen von Auroville gezogen wurden.
Die Künstler_innen, die die Community, in der ca. 2500 Menschen aus 53 Nationen[1] leben, in den vergangenen Jahren vier Mal besucht haben, nutzen einen Punkt der Charta Aurovilles nicht nur als Titel für die Ausstellung im Kunstpavillon, sondern auch als Ausgangspunkt für ihre künstlerische Herangehensweise an das Projekt:

3. Auroville wants to be the bridge between the past and the future. Taking advantage of all discoveries from without and from within, Auroville will boldly spring towards future realisations.

Auf Deutsch:
3. Auroville möchte die Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft sein. Indem es alle äußeren und inneren Entdeckungen nutzt, wird sich Auroville kühn emporschwingen zu zukünftigen Verwirklichungen.[2]

Christoph Draeger und Heidrun Holzfeind haben für From Without And From Within (The Auroville Project) eine Strategie entwickelt, die die Betrachtung von außen und die Innenschau verbindet, und so scheint es nachgerade eine logische Entwicklung zu sein, sich nicht nur mit den Aurovilianer_innen zu beschäftigen, sondern auch Menschen aus dem eigenen professionellen und privaten Umfeld in das Projekt zu involvieren. In einem Workshop mit dem Titel Re-Imagining Utopia haben sie im Mai 2017 mit Studierenden der Kunsthochschule in Umeå in Schweden Vorschläge für mögliche Interventionen und öffentliche Kunstwerke in Auroville entwickelt. Auroville, das 2018 sein 50jähriges Bestehen feiern wird, ist zwar reich an experimenteller Architektur und Kreativität ist ein wichtiger Teil des Selbstverständnisses, trotzdem gibt es dort heute kaum öffentliche oder zeitgenössische Kunst. Die Ergebnisse des Workshops sowie neu entstandene und bereits bestehende Arbeiten befreundeter Künstler_innen, die Draeger und Holzfeind gebeten haben, die Idee einer utopischen Gemeinschaft im 21. Jahrhundert zu reflektieren, werden unter dem Titel Re-imagining Utopia (The Auroville Project) als Gruppenausstellung innerhalb der Ausstellung From Without And From Within (The Auroville Project) gezeigt.

Die Arbeiten von Carolina Andreasson, Jessika Björhn, Andrew Burton, August Bällgren, Christoph Draeger, Martin Ebner & Ariane Müller, Charlotte Hedberg, Swetlana Heger, Heidrun Holzfeind, Nadira Husain, Elka Krajewska & Gregor Neuerer, Tryggve Lundberg, Gazi Mrah, Klaus Weber und Olav Westphalen befinden sich im, beziehungsweise um den geodätischen Dom und verbinden sich mit den Archivalien zu einer Gedanken[land]karte, die es den Besucher_innen ermöglicht sich auf offene und kreative Weise auf das Auroville Projekt einzulassen.

Betritt man durch den in den Farben des Regenbogens gehaltenen PVC-Vorhang Sometimes There Is Nothing (Colors of Auroville) den hinteren, abgedunkelten Raum des Kunstpavillons, fällt der Blick zuerst auf eine fast sakral beleuchtete Installation, die die Idee „Auroville“ in ihrer Ambivalenz verdeutlicht. In einer Vitrine sind Edelsteine zu sehen, die Vijay, einer der ersten Aurovilianer, dem Sohn der Künstler_innen geschenkt hat, außerdem andere Artefakte wie ein Brosche von 1968, oder Schmetterlinge aus Auroville. Dahinter hängt ein Fries von 38 gerahmten Fotografien (gedruckt auf Bambuspapier), die altarähnliche Stillleben mit Abbildungen der Mutter zeigen, wie sie in Auroville allgegenwärtig sind. Mothers macht in der dichten Zusammenstellung den schmalen Grat zwischen einer offenen Gesellschaft und dogmatischer Anhänger_innenschaft offensichtlich. Das Leben in und mit der Natur und die Bedeutung von Forschung und Bildung in einem aktivierenden Umfeld, stehen einer Spiritualität gegenüber, die doch manchmal in Richtung Heiligenverehrung zu kippen scheint, obwohl Konfessionslosigkeit eigentlich als Schlüssel für ein Leben in Frieden, Eintracht und Harmonie gesehen wird.
In den beiden Videoarbeiten What is Auroville? und Nine Palms gehen Christoph Draeger und Heidrun Holzfeind auf die Menschen, die in Auroville leben, zu. In What is Auroville? berichten Einwohner_innen verschiedenster Herkunft und unterschiedlichen Alters darüber, was das Leben in Auroville für sie bedeutet. Neben den persönlichen Motivationen und Herausforderungen hier zu leben, ist der Fokus auf die Architektur gerichtet und spannt sich von den gebauten Visionen des französischen Chef-Architekten Roger Anger bis hin zum Schiffscontainer, den sich eine junge Künstlerin als Behausung am Rande der Siedlung eingerichtet hat. Sie berichtet auch über die Schwierigkeiten mit der in unmittelbarer Nähe lebenden indischen Bevölkerung und das Unverständnis von deren Seite darüber, dass sie als unverheiratete, junge Frau alleine lebt. Ein Gemüsebauer zeigt eine weitere Diskrepanz auf, wenn er davon erzählt, wie sich Auroville mit landwirtschaftlichen Gütern selbst versorgen will, und im nächsten Moment sagt, dass Tomaten, die hier aufgrund des Klimas nicht das ganze Jahr über wachsen, importiert werden müssen, da die Aurovilianer_innen darauf nicht verzichten möchten. Nine Palms, benannt nach den neun Palmen, die das von einer aus Deutschland stammenden Familie bewohnte und bewirtschaftete Stück Land definieren, zeichnet ein subtiles Portrait einer Familie rund um den sterbenden Vater, der unter anderem davon erzählt, dass die Motorisierung, gegen die er noch immer sei, durch seine Kinder und deren Freund_innen in die Familie gekommen sei. Auch in idealtypischen Gemeinschaften sind Generationenkonflikte wohl nicht auszuschließen. Der 1976 in Auroville geborene Sohn berichtet davon, dass er als Kind viel mit den Kindern der indigenen Tamil-Bevölkerung gespielt hatte, und dass er dadurch die Landessprache fließend spreche. Heute, da die Community gewachsen sei und es (anders als zu Beginn) auch Schulen in Auroville gibt, sprechen nur noch wenige aurovilianische Kinder Tamil. Die Tochter, die ihr in zweiter Generation in Auroville geborenes Baby am Arm trägt, erzählt, dass sie sich nach längeren Aufenthalten in Berlin nun bewusst für die Lebensform in Auroville entschieden hat. Die Familie lebt, geerdet und – so hat man den Eindruck – durchaus zufrieden auf ihrem Stück Land und scheint von der Philosophie Aurovilles zwar die Grundwerte übernommen zu haben, strebt aber in ihrer Normalität nicht nach den hehren Zielen, die Menschheit als Gesamtheit zur Einheit führen zu wollen.

Christoph Draeger und Heidrun Holzfeind nähern sich mit unterschiedlichen Mitteln – Entdeckungen von innen und außen nutzend und den „immerwährenden Lernprozess“, der in Auroville proklamiert wird, vor Augen – der Stadt und ihren Bewohner_innen und machen mit What is Auroville? und Nine Palms deutlich, dass die Räume zwischen idealisierter Theorie und gelebter Praxis produktiv und nutzbar sind.

 

Ingeborg Erhart

[1] https://www.auroville.org/contents/3329, abgerufen am 04.09.2017

[2] Deutschsprachige Broschüre über Auroville, Auroville Press, Auroville, © Auroville Trust, 1985, ohne Seitenzahlen (S. 7); Das Heft liegt im geodätischen Dom Die Goldende Kuppel auf.

 

Dank an:

 

        

 

In Kooperation mit filmcampus   

 

 

Ausstellungsbroschüre zum Herunterladen:
From Without And From Within (The Auroville Project)