Nichts

Alfredo Barsuglia

NICHTS, Tiroler Künstler*schaft, Kunstpavillon, Innsbruck, 2020(c) Alfredo Barsuglia und Bildrecht

Alfredo Barsuglia
Nichts

RE-OPENING, 20.5.2020 – 20.06.2020

Der Künstler hat uns ein Video geschickt, in dem er über seine Arbeit NICHTS und seine künstlerische Praxis erzählt.

ARTIST TALK mit Alfredo Barsuglia und Petra Poelzl, Samstag, 20.06.2020 ab 18.30 im Kunstpavillon. Aufgrund der gegenwärtigen COVID-19 Regularien ist eine ANMELDUNG (office@kuveti.at) erforderlich.

One to One-Performances (Dauer ca. 15 Minuten): Anmeldung
Freitag, 12. Juni 2020 17.00 – 18.00
Samstag, 13. Juni 2020 14.00 – 15.00
Freitag, 19. Juni 2020 17.00 – 18.00

Zur TEILNAHME ist eine Anmeldung sowie die Einhaltung der Hygienemaßnahmen und Maskenpflicht erforderlich.

Mitwirkende: Livia Schatzer, Rhia Schatzer, Moritz
Autor des gesprochenen Textes: Andreas Oberprantacher (Assoziierter Professor am Institut für Philosophie, Universität Innsbruck)

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Sometimes you gotta close a door to open a window.
(Tyler, The Creator: New Magic Wand, 2019)

ALLES IM NICHTS In manchen Strömungen des Buddhismus steckt hinter dem Konzept der Leere – des Nichts – die Vorstellung, dass die Welt und alle Dinge, die sich in ihr befinden, so wie sie sich unseren Sinnen präsentieren, nicht wirklich sind, sondern in der wahrgenommenen Form von unserem Bewusstsein produzierte Bilder darstellen.

Wie Schein sind die Wesen (…), wie ein Traum. Denn Schein und die Wesen sind eins, nicht zweierlei; Traum und die Wesen sind eins, nicht zweierlei. Alle Dinge sind wie Schein, wie ein Traum. [1]

Eine Beobachtung, die sich auch mit der titelgebenden Rauminstallation Nichts von Alfredo Barsuglia vereinen lässt. In dem in Nebel gehüllten Ausstellungsraum steht ein präzise gearbeitetes Holzboot. Die Segel bereits gesetzt. Rechts davon: Drei nebeneinander aufgereihte schwarze Sockel mit identen Abmessungen. Darauf thronen – fast schon militärisch anmutend – drei schwarze Windmaschinen. In der zweiten Raumhälfte: Nichts. Dieses Nichts, der leere Raum, akzentuiert die bestehende Architektur – Oberlichtdach, verzierte Lüftungsschächte, verkleidete Stahlträger, Steinboden – des 1564 erstmals urkundlich erwähnten „unteren Sommerhauses“, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts in mehreren Schritten zu einem Ausstellungsraum adaptiert wurde. Ein Raum, dem nicht nur Architektur, sondern auch Geschichte eingeschrieben ist. Somit ist das Nichts nicht nichts, sondern doch etwas – ein unlösbares Paradox – welchem sich Barsuglia in dieser raumgreifenden Arbeit verschrieben hat. Für den Künstler stellt die Beschäftigung mit dem Nichts eine konzeptionelle Entscheidung dar – um den Blick ausschließlich auf den Raum, das Boot und den Versuch es zu steuern, zu lenken: Eine Parabel über das Leben, ein Nachdenken über das Woher, Wohin und Warum.

Barsuglias Inszenierung des Raumes beinhaltet eine Irritation des Blicks – eine künstlerische Strategie, welche er sich auch in seiner jüngsten Ausstellung „Take on me“ im Kunstforum Wien zu Nutze macht. Er verortete eine Szene aus dem öffentlichen Raum im Ausstellungsraum. In einem Interview mit der Tageszeitung Der Standard sagt er: Ich bin ein halbes Jahr durch Wiens Straßen gelaufen und habe beobachtet, was alles in Fassaden steckt, um es möglichst originaltreu nachzubilden: Schrauben, Dübel, Kritzeleien … Man würde nicht glauben, wie viel da los ist!“[2]

Ähnlich akribisch erarbeitete der Künstler die Rauminstallation im Kunstpavillon: So hat er sich etwa mit der Statik des Raumes beschäftigt um das in Nebel gehüllte Boot ins Fahren zu bringen. Die Fahrt ruft tagespolitische Medienberichte über Greta Thunbergs Reise im Segelboot zum Klimagipfel nach New York oder Bilder von schutzsuchenden Menschen vor den Außengrenzen Europas in Erinnerung. Das volle Boot als Sinnbild politischer Machtstrategien. Blickt man etwas weiter zurück, kommt die Metapher des Schiffs bereits seit der Antike in Poesie und Literatur immer wieder zu tragen. In der Romantik waren Segelschiffe in der Malerei auch ein Symbol für gesellschaftliche und politische Umbrüche. In der Mythologie steht das Boot sinnbildlich für Leben und Sterben, die Überfahrt in das Reich der Toten.

Um möglichst unmittelbar agieren zu können, sucht Barsuglia nach Strategien das Publikum in seine Praxis miteinzubeziehen. Oftmals verschwimmen die Grenzen zwischen künstlerischer Installation und sozialem Experiment, welche ebenso die beabsichtigte Möglichkeit des Scheiterns impliziert. Es ist deshalb wenig überraschend, dass seine Arbeiten vielfach als verlassene Filmsets, in welchen das Publikum zum Akteur, zum Handelnden wird, beschrieben werden. In Innsbruck machte er so bereits mit seiner temporären Intervention „Hotel Publik“ (2013) im öffentlichen Raum auf sich aufmerksam. Jede und jeder war eingeladen in diesem ungewöhnlich kleinen, aber voll funktionstüchtigen Haus vor dem Landesmuseum zu übernachten und im Morgenverkehr zwischen Fußgänger:innen und Autofahrer:innen den Tag zu beginnen. Barsuglias vielgestaltige und disziplinübergreifende Arbeiten changieren stets zwischen dem Skulpturalen und Ephemeren, dem Materiellen und Immateriellen – und sind wie eine durchlässige Landschaft, die es ermöglicht neue Dialogfelder zu erschließen. In Nichts spiegelt sich diese künstlerische Herangehensweise in Form der eingangs beschriebenen Rauminstallation und ihrer performativen Bespielung wider. Zu ausgewählten Terminen und nach vorheriger Anmeldung werden Einzelpersonen für die Dauer von circa 10 Minuten in den Ausstellungsraum geladen, welcher für diesen Zeitraum von einem Kind inhabitiert wurde:

 

Es ist,
als ob
wir uns
bloß zu zweit
an einer seltsam vertrauten Stelle befinden würden,
durch eine unerwartete Fügung
aneinandergeraten wären,
ohne jeweils zu wissen,
wie uns geschieht und was uns erwartet,[3]

rezipiert das Kind den von Andreas Oberprantacher eigens für die Performance verfassten Text. Dieser poetisch-kryptisch anmutende Textbaustein steht am Beginn der Performance und am Beginn einer sich auftuenden Welt, die sich möglicherweise zwischen Schein und Traum verorten lässt?

Anstelle eines ach so ozeanischen Gefühls,
dass uns vermeintlich erlösen könnte
oder erheben sollte,
nicht zuletzt von den irdischen Niederunge
deines und meines Geschlechts
packen und plagen uns immer wieder Gedanken,
etwa,
dass uns alles Geschehen unweigerlich entgleitet,
sobald wir wähnen,
es begriffen zu haben.[4]

Der Raum, wie ein Vakuum, ein Zwischenraum, der sich öffnet, in dem man sich zu zweit in einer vertraut-unvertrauten Situation aufhält, und in dem sich ganz persönliche Referenzsysteme, Assoziationsketten, Erzähl- und Bildwelten aufspannen. Die Möglichkeit diese zu überprüfen, ist gegeben. Barsuglia selbst betont, dass er sich in seiner künstlerischen Praxis jeglicher Referenz verwehrt. Viel mehr beobachtet er stets sein eigenes Referenzsystem, bricht es auf, um zu erfahren, welche Möglichkeits-, Imaginations- und Experimentierräume sich hinter dem bereits Erprobten befinden. Die Möglichkeit des Scheiterns ist diesem Vorgehen ganz klar inhärent. Die Strategie, bietet er auch dem Publikum an:  Woher kommt eigentlich mein, dein, unser Verständnis über diese Welt und die Gesellschaft in der wir leben? Was geschieht, wenn wir eingefahrene Blickstrategien, Verhaltens- und Denkmuster überprüfen und nach Möglichkeit durchbrechen? Nichts wird so zu einem Moment des Dazwischens, eine mythologische Überfahrt oder ein ephemerer Tempel, in dem die Besucherin und der Besucher mit einem Boot (und einem Kind) sich selbst dem Raum überlassen bleibt und angehalten wird, Vorstellungen über Welt, Wesen und Dinge, wie sie sich unseren Sinnen präsentieren, kritisch zu beleuchten.

[1] Astasaharika Prahnaparamita. Zitiert bei: Schumann, H. W., Mahayana Buddhismus, München, 1990, S. 48

[2] Michael Wurmitzer in Der Standard: Otto-Mauer-Preis für Alfredo Barsuglia: Der Trickser mit dem Mistkübel, 4. Dezember 2019.

[3] Andreas Oberprantacher: Nichts, unveröffentlichtes Gedicht, 2020.

[4] Ebd.

 

Biografie:
Alfredo Barsuglia, geboren 1980 in Graz, lebt und arbeitet in Wien. Barsuglia erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Stipendien, darunter den Msgr. Otto Mauer Preis (2019), einen Preis beim 36. Österreichischen Grafikwettbewerb (2019), den Strabag International Artaward (2018), das Staatsstipendium für bildende Kunst (2017), den Kunstförderungspreis der Stadt Wien (2015), den Theodor Körner Preis (2013), Kunstförderungspreis der Stadt Graz (2007) und das MAK-Schindler-Stipendium in Los Angeles (2006).

Seine Arbeiten wurden unter anderem im Kunstverein Eisenstadt (gemeinsam mit Peter Sandbichler, 2020), im Kunstforum Wien (solo, 2019), im Kunstforum Montafon, Schruns (gemeinsam mit Gelitin, 2019), im MAK Center for Art and Architecture, Los Angeles (gemeinsam mit Alice Könitz, 2018), im MMKK Museum Moderner Kunst Kärnten, Klagenfurt (2018), im OK Offenes Kulturhaus, Linz (2017), in der Neuen Galerie Graz –  Universalmuseum Joanneum (2016), im MAK – Museum für angewandte Kunst, Wien (solo, 2015), im MACRO – Museo d’Arte Contemporanea di Roma / Testaccio (2014), bei der 4th Moscow Biennial of Contemporary Art (2011) und im mumok Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien (2010) gezeigt.

Er performte unter anderem im Kunstraum Lakeside, Klagenfurt (2019), RIMI/IMIR scenekunst Festival, Stavanger / NO (2018), Rhiz, Wien (2018), im brut, Wien (2017), ImPulsTanz – Vienna International Dance Festival, Wien (2017) und TQW Tanzquartier, Wien (2014).

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