VERBINDEN / VERTRETEN / VERTEILEN / VERMITTELN / VERHANDELN

Alpine Gothic, Patrick Baumüller, Wolfgang Capellari, Katharina Cibulka, Carola Dertnig, Othmar Eder, Lizzy Fidler, jöchlTRAGSEILER, Michael Kargl, Susanne Kircher-Liner, Stefan Klampfer, Annja Krautgasser, Andrea Lüth, Gerald Kurdoğlu Nitsche, Michaela Niederkircher & Christine S. Prantauer, Simona Obholzer, Maria Peters, Annette Sonnewend & Sigrid Sonnewend & Brigitte Redl-Manhartsberger, Michael Strasser, Johanna Tinzl & Stefan Flunger, Michael Ziegler

70 JAHRE TIROLER KÜNSTLER*SCHAFT

Die Tiroler Künstler*schaft wird 70 und begeht dieses Jubiläum mit einer Mitgliederausstellung, die eine Standortbestimmung der Vereinigung ver­sucht. Ihre dynamische Geschichte dient dabei als Folie für Fragen nach ih­rer Rolle und Funktion für gegenwärtiges Kunstschaffen.

Die Tiroler Künstler*schaft steht in der Tradition der Kunstvereine, wie sie im deutschsprachigen Raum aus den bürgerlichen Emanzipationsbestre­bungen des 19. Jahrhunderts hervorgegangen sind. Sie stellt Künstler_innen Ressourcen zur Verfügung und vertritt deren kulturelle, wirtschaftliche und soziale Interessen. Durch ihre Ausstellungs- und Veranstaltungstätigkeit öffnet sie Raum für die Präsentation von und Auseinandersetzung mit zeit­genössischer Kunst.

In ihrer Dissertation Vereinigungen und Gruppierungen Tiroler Künstler im 20. Jahrhundert von 1980 erläutert die Kunsthistorikerin und langjährige Geschäftsleiterin der Künstler*schaft, Sieglinde Hirn, dass der Tiroler Lan­desverband der Berufsvereinigung bildender Künstler Österreichs in seiner Anfangszeit den „Charakter einer wirtschaftlichen Notgemeinschaft“ hatte. Denn die Mitgliedschaft war Voraussetzung für den Bezug von Lebensmittel­karten. Somit wurde 1946 nicht nur eine Initiative zur Förderung der Kunst in Tirol ins Leben gerufen, sondern auch eine Interessensgemeinschaft, die für viele KünstlerInnen von Existenz sichernder Relevanz war.

Heute sind Künstler_innen mit anderen Herausforderungen konfrontiert als 1946. Zwischen lokaler Verankerung und internationaler Orientierung, geteilten Lebens-, Arbeits- und Aufenthaltsorten – besonders die jünge­re Generation – arbeiten sie oft unter prekären Bedingungen. Angesichts eines globalisierten Kunstfeldes und den Verwertungsinteressen des auf Wettbewerb ausgerichteten Kunstmarkts treten Künstler_innenvereinigun­gen in neue Spannungsverhältnisse. Entsprechend ist die Rolle der Tiroler Künstler*schaft heute komplexer geworden – als Interessenvertretung, die verbindet, vertritt, verteilt, vermittelt und verhandelt.

Ausgehend von der Geschichte des Vereins haben die Kuratorinnen die Mit­glieder der Künstler*schaft zur Einreichung existierender und neuer künst­lerischer Arbeiten eingeladen. Fragen nach der Funktion des Vereins so­wie nach Wünschen, Kritikpunkten und Veränderungsvorschlägen für die Zukunft der Institution bildeten dabei die Grundlage. Reaktionen oder Ant­worten darauf geben, neben ausgewählten künstlerischen Projekten, per­sönliche Statements von Mitgliedern, die als Postkarten in der Ausstellung aufliegen.

Ein Zeitverlauf, der die beiden Ausstellungsräume in der Neuen Galerie und im Kunstpavillon visuell verbindet, markiert zentrale Momente der ereignisreichen Geschichte der Künstler*schaft. In Dialog mit den künst­lerischen Arbeiten ergeben sich daraus Rückschlüsse für die heutige Si­tuation von Künstler_innen allgemein und des Vereins im Besonderen.

Einige der künstlerischen Arbeiten der Ausstellung erforschen die Ge­schichte der Tiroler Künstler*schaft. Ihre Existenz sichernde Funktion (Nie­derkircher & Prantauer, Baumüller) spielt dabei ebenso eine Rolle wie der autobiographische Kontext (Krautgasser, Sonnewend) und das Spannungs­verhältnis von künstlerischer Avantgarde und dem NS-Regime (Dertnig). Weitere Künstlerinnen widmen sich aus historischer und heutiger Perspek­tive den Arbeits- und Ausstellungsbedingungen von Frauen (Cibulka, Fid­ler, Sonnewend & Sonnewend & Redl-Manhartsberger). Die Struktur- und Funktionslogiken von Kunstinstitutionen, ihre Verbindungen zur Öffentlich­keit und dem öffentlichen Raum (Eder, jöchlTRAGSEILER, Klampfer, Kargl, Nitsche, Obholzer, Strasser) sowie ihre dialogische Funktion als Vermitt­lungs- und Vernetzungsinstanzen (Capellari, Ziegler, Kircher-Liner) bilden weitere Themenschwerpunkte der Ausstellung. Darüber hinaus werden Regionalismus und der alpine Raum zum Gegenstand künstlerischer Un­tersuchung, nicht ohne dabei auf Verwertungsökonomien künstlerischer Produktion zu verweisen (Alpine Gothic, Lüth). Tinzl & Flunger schließlich visualisieren, dass Geschichte nicht linear gedacht werden kann, sondern immer auch eine Konstruktion ist, die „Jetztzeit zum Mittelpunkt“ hat.

 

Georgia Holz und Barbara Mahlknecht

Ausstellungsbroschüre zum Herunterladen