Statement des Vereins Tiroler Künstler:innenschaft

ERINNERUNGSKULTUR UND TIROL

Mit diesem Statement nimmt der Verein Tiroler Künstler:innenschaft Bezug auf gegenwärtige Beobachtungen, Entwicklungen und Erkenntnisse zum Thema des Erinnerns im Tiroler Kulturdiskurs. Konkret geht es um Erinnerungskultur sowie Aufarbeitungsprozesse im Kontext der bildenden Kunst in Tirol und somit um einen Diskurs als dessen Teil auch wir uns verstehen wollen.

Kunst eröffnet immer wieder Räume für Debatten, in denen Themen wie Machtverhältnisse, Geschichtsschreibung oder Identität neu verhandelt werden können. Aus diesem Grund bringt sie uns auch immer wieder aufs Neue dazu, unsere Welt, in der wir leben, kritisch zu betrachten und zu hinterfragen. Kritik richtet sich nicht unbedingt immer gegen eine (ideologische) Opposition, stattdessen verstehen wir Kritik als das Gegenteil von Gleichgültigkeit mit dem Potenzial, positive Veränderungen zu initiieren. Und auch weil sich die Vergangenheit in unserer Gegenwart nicht nur immateriell, sondern auch physisch ausdrückt, ist das Thema der Erinnerungskultur ein solch wichtiges für die Kunst. Dabei stellt das Erinnern eine Übersetzung der Geschichte aus der Vergangenheit in die Gegenwart dar und die Materialisierungen dieser Erinnerungen spiegeln wider, wie sich eine Kultur oder Gesellschaft erinnert. Als ein Kultivieren der Beziehung zu den eigenen Wurzeln bezeichnet es die Kulturwissenschaftlerin und Erinnerungsforscherin Ann Rigney.

Was sagt es folglich über uns als Interessenvertretung sowie über unsere Gesellschaft aus, wenn wir darüber hinwegsehen, dass eine einflussreiche und für den Standort Tirol äußerst wichtige Stiftung für zeitgenössische Kunst – wie es die Komm.Rat Dr. Hans Klocker und Dr. Wolfgang Klocker Stiftung ist – es selbst als ihre Aufgabe definiert, das Andenken an einen NS-Partizipanten zu bewahren und zu ehren und dabei Bedenken hinsichtlich der Herkunft des Geldes, trotz eigener interner Nachforschungen der Stiftung, nicht restlos ausräumt. Geäußerte Bedenken gegenüber dem Ursprung des Vermögens als “in kleinen Innsbrucker Kreisen kursierende Gerüchte”[1] herunterzuspielen, ignoriert die Tatsache, dass zahlreiche Privilegien und Vermögen unserer Gegenwart noch immer direkt oder indirekt auf die Bereicherung unserer Vorfahren während des NS-Regimes zurückzuführen sind. Als Vorreiter in Sachen Kunst am Bau und somit auch der Förderung zeitgenössischer Kunst in Tirol stellt die gemeinnützige Wohnbaugesellschaft Neue Heimat Tirol einen weiteren Akteur mit einem ambivalenten Verhältnis zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte dar. Seit ihrer Gründung 1939 mit dem Zweck, “Wohnraum für die Südtiroler Umsiedler („Optanten“) zu schaffen”[2], ist die Neue Heimat Tirol ohne Unterbrechung tätig. Dass sich die NHT als einer von Österreichs größten Bauträgern auf ein Vermögen aus NS-Zeiten stützt und von Zwangsarbeit profitierte, wird jedoch kaum thematisiert. Dafür rühmt sich das Unternehmen damit “seit der Gründung im Jahr 1939 (…) für leistbares Wohnen”[3] zu stehen. Mit einer anlässlich des 80. Jubiläum beauftragten Untersuchung durch eine Historikerin wurde ein anfänglicher Schritt in Richtung Aufarbeitung geleistet, allerdings droht dieser durch mangelnde Transparenz und Vermittlung im Sand zu verlaufen.

Das letzte Beispiel stellt das kontroverse Thema des Wettbewerbs für das Landhaus dar. Wie ist es zu deuten, wenn ein Mahnmal für die im Holocaust begangenen Verbrechen an einer nationalsozialistischen Architektur als zu provokant abgelehnt wird und die Erinnerung aus dem öffentlichen Raum genommen und nach innen in ebenjene Architektur hinein verlegt wird? Natürlich bedeutet dieser Schritt hinein ins Gebäude auch ein Öffnen. Findet diese vermittelnd für ein breites Publikum statt, stellt dies durchaus auch einen wichtigen Schritt in Richtung mehr Transparenz dar. Dennoch geht mit der Nicht-Realisierung des Wettbewerbs eines der größten Potenziale, die Kunst im öffentlichen Raum zu bieten hat, verloren: den Menschen unvermittelt und ungefragt zu begegnen und zu konfrontieren.

Das Thema der Erinnerungskultur in Tirol findet besonders durch den Wettbewerb am Landhaus erneute Beachtung. In seinem Kommentar in der Tiroler Tageszeitung vom 26.02.2023 befürchtete der Dekan der Philosophisch-Historischen Fakultät, Dirk Rupnow, dass dieser Fall Einfluss auf noch ausstehende Projekte haben könnte. Auch wir verstehen die Beispiele exemplarisch für einen breiteren Diskurs zum Thema Erinnern. Als Interessenvertretung für bildende Künstler:innen mit Tirolbezug gibt uns dies Anlass, das Thema des Erinnerns und der Erinnerungspolitik in Tirol von einem kulturpolitischen Standpunkt aus zu betrachten. Mit dieser eigenen Reflexion maßen wir uns nicht an, eine konkrete Lösung in dieser Debatte präsentieren zu können, sondern plädieren für mehr Transparenz und einen offenen Dialog. Ein Dialog, an dem wir uns als Interessenvertretung beteiligen möchten, auch weil alle hier angeführten Beispiele Mitglieder des Vereins direkt betreffen.

Die Erinnerungspolitik einer Gesellschaft prägt maßgeblich das kollektive Gedächtnis und die kollektive Identität. Sie formuliert geteilte Werte und verbindende Momente und dabei spielt auch Macht eine nicht unwesentliche Rolle. Wer entscheidet an was und wen wir uns wie erinnern? Wir müssen uns im Heute dieser Machtverhältnisse bewusstwerden, denn sie entscheiden schließlich, woran wir und folgende Generationen sich in der Zukunft erinnern werden.

Vorstand und Geschäftsleitung Kunstpavillon, Neue Galerie und Interessenvertretung
der Tiroler Künstler:innenschaft

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[1] https://www.klockermuseum.at/de/ueber-uns/geschichte/ (aufgerufen, am 20.03.2023)
[2] https://www.neueheimat.tirol/unternehmen (aufgerufen, am 20.03.2023)
[3]  https://www.sorgsam-neueheimat.tirol/unternehmen