How to disappear completely

Susanne Bürner, Joanna Rajkowska, Nadim Vardag, Mona Vătămanu & Florin Tudor

J Rajkowska Soon Everything Will Change
Soon Everything will Change, Joanna Rajkowska

How to disappear completely
Susanne Bürner, Joanna Rajkowska, Nadim Vardag, Mona Vătămanu & Florin Tudor

kuratiert von Ingeborg Erhart

Eröffnungsabend: Die VernissagebesucherInnen fanden auf der Terrasse des Kunstpavillons einen leeren dreieckigen beto­nierten Sockel vor. Wenig später kam eine Prozession auf den im Park liegenden Ausstellungsort zu. Mehrere Personen tru­gen vorsichtig auf einer eigens dafür entwickelten Vorrichtung eine Kristallformation, einen Rauchquarz. Begleitet von einem für den Anlass komponierten Musikstück von James Oldham (Aufgeführt von MusikerInnen des Tiroler Landeskonservatoriums) – Gesang, der immer wieder durch Instrumente unterbrochen und gleichsam fragmentiert wird –, wurde der Kristall auf dem Sockel platziert. Mit Soon Everything Will Change. Edition Innsbruck schenkte Joanna Rajkowska der Innsbrucker Bevöl­kerung und allen PassantInnen dieses, wie sie es bezeichnet, „travelling device“.

Bereits im Juni 2014 wurde in Birmingham Soon Everything Will Change uraufgeführt und in einem ähnlichen performa­tiven Akt eine große Amethystformation in den Boden des Innenhofs einer öffentlichen Bibliothek eingelassen. Joanna Rajkowskas oftmals ephemere und für den öffentlichen Raum geschaffenen Werke entstehen instinktiv und für einen be­stimmten Ort.

„I work on imagined models.“, sagt die Künstlerin. Soon Eve­rything Will Change basiert auf der Idee, der sich zuspitzenden globalen Krise entgegenzutreten. Bald wird sich alles ändern, ändern müssen. Wir leben in einem Zeitalter der exzessiven Ausbeutung unseres Planeten, das der Nobelpreisträger Paul Crutzen als „Antropozän“ bezeichnet. In seinem 2002 veröf­fentlichten Aufsatz „The Geology of Mankind“ schreibt er, dass der Mensch zur größten Naturgewalt geworden ist und die Natur in nie gekannter Weise formt. Der Kristall, der vor dem Kunstpavillon installiert wurde, stammt aus einer anderen, längst vergangenen Epoche. Er ist älter, als sich ein Mensch vorzustellen vermag. Um unabhängig von der Intention auf den Umgang mit unseren Ressourcen hinzuweisen, schuf Joanna Rajkowska einen zunächst leeren Rahmen, in dem Ausstel­lungsbesucherInnen und PassantInnen ihre eigene Botschaft formulieren konnten. Vielleicht als „Juwel“, als mobiles Chakra oder heilendes Objekt wahrgenommen, stellte die Intervention sowohl einen klassischen Skulpturenbegriff als auch pragma­tische Definitionen von Kunst im öffentlichen Raum infrage.

Im abgedunkelten Kunstpavillon war die erste Arbeit, die in den Blick kam, Nadim Vardags für die Ausstellung adaptiertes Wandobjekt. Auf einem Metallgerüst, das aus sechs Anfang der 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts entworfenen Tisch­gestellen des deutschen Architekten und Möbeldesigners Egon Eiermann, mit denen Vardag häufig in Modulbauweise arbeitet, bestand, waren zwei 2 x 3 Meter große Aluminium­wabenplatten angebracht. Ein Designklassiker wurde zum Konstruktionselement, Leichtbau-Aluminiumpaneele wurden zum Kunstwerk erhoben – oder umgekehrt? Diese Ambivalenz schwingt im Werk von Nadim Vardag genauso wie grundsätz­liche Überlegungen des Ausstellens/des Zeigens immer mit. Wie sieht das Display aus? Wie ist das Verhältnis zwischen dem Raum und der künstlerischen Arbeit? Das Wandobjekt konnte als Bildträger funktionieren. Es nahm sich heraus, für sich zu stehen, und platzierte sich mitten im Raum, was unmittelbare Konsequenzen für das Setting der Ausstellung hatte. Seine raumgreifenden Versuchsanordnungen – die Projektionstische, BesucherInnentribünen oder an Ausstellungsarchitekturen erinnernde, oftmals modulare Anordnungen zum Kunstwerk erklären – wirken durch ihre (scheinbare) Funktionslosigkeit verunsichernd.

Suspense (1) spielt bei allen in der Ausstellung gezeigten Arbei­ten von Susanne Bürner eine wesentliche Rolle. Auf den drei Fotoarbeiten, Shenzhen #1 und #2 von 2009 sowie dem 2014 entstandenen Bild Berlin #1, waren von der Straße aus aufge­nommene Fenster mit zugezogenen bzw. heruntergelassenen Rollos zu sehen. Durch die Lamellen suchten sich Pflanzen mit an Finger erinnernden Blättern ihren Weg zum Licht. Wie lange war hier niemand mehr zu Hause? Was war geschehen? Auch in dem Film Leaves, 2009, ist Abwesenheit das zentra­le Thema. Ein Blättervorhang öffnet sich und gibt den Blick auf eine Waldlichtung frei. Es geschieht – nichts. Jedenfalls nichts im Sinne eines klassischen Filmplots. Die unterschied­lichen Baumarten werden zu AkteurInnen und scheinen einer Choreografie folgend zu interagieren. Die Filmmusik, die aus aufgenommenen natürlichen Geräuschen komponiert wurde, entspricht manchmal dem Schwanken und Schwingen der Bäume und Äste und steht dann wieder dazu im Kontrast. Seltsam muten bei näherer Betrachtung aber auch die Be-wegungen an. Stop-Motion-Technik und etliche Spezialeffekte sind dafür verantwortlich. Natürlich ist somit eigentlich nichts mehr. Eine Konstruktion. Zum Schluss schließen Zweige die Bühne der Waldlichtung wieder. (1)(Der in der Filmtheorie auf Alfred Hitchcock zurückgehende Begriff des „Suspense“ wird m. E. besser mit „in Erwartung eines Ereignisses“ als mit „gespannt sein“ beschrieben.)

Auslöschung, Abwesenheit und Überbleibsel wie Staub und verlassene Orte spielen im Werk von Mona Vătămanu & Florin Tudor ebenso wie die Auseinandersetzung mit Geschichte und Politik immer wieder eine wichtige Rolle. Der Film All that is solid melts into air, 2012/13, führt in Slow-Motion in eine un­wirklich apokalyptische Landschaft, die auch auf einem ande­ren Planeten zu finden sein könnte. Tatsächlich handelt es sich um „Rosia Montana˘“, ein Abbaugebiet in Nordwestrumänien, wo Gold und seltene Erden mit enormem Wasseraufwand und chemischen Cocktails, vornehmlich Cyanid, exzessiv geschürft werden und die verbleibende Bevölkerung immer weiter in die Berge zurückgedrängt wird. So symbolhaft wie die devastierte Natur ist auch die Textebene. Die Offenbarung des Johannes (Die Bibel, Offenbarung 1,1 – 22,21), die Apokalypse, die das Neue Testament prophetisch beschließt, spart nicht mit Sym­bolen und Metaphern. Eine Deutung beispielsweise sieht in dem Tier, das aus dem Wasser kommt, die Personifikation von totalitärer Staatsmacht. Mona Vătămanu & Florin Tudor stellen an den Beginn und an das Ende ihres Films zwei politische Re-den gegen Kapitalismus und (Post-)Kolonialisierung: die, die der chilenische Staatspräsident Salvador Allende 1972 vor der UNO hielt, und jene des Präsidenten von Burkina Faso Thomas Sankara vor der Organisation für afrikanische Einheit, 1987. Darin kritisierten sie klar den Turbokapitalismus, der erst weiterzieht, wenn nichts mehr zu holen ist. Die Tageszeitung „Der Standard“ berichtete im Mai 2014, dass die rumänische Regierung den Bergbau in Rosia Montană eingestellt habe. Das kanadische Unternehmen Gabriel Resources, das dort Schürf­rechte erworben hatte, wolle nun den Staat klagen. ( http://derstandard.at/1397522358538/Rosia-Montana-Kanadier-wollen-Entschaedigung, 13.11.2014) Soon Everything Will Change war angesichts dieser Tatsachen mehr eine Beschwörungsformel als nur ein frommer Wunsch.

How to disappear completely war eine Ausstellung, die Motiven des Verschwindens in der zeitgenössischen Kunst nach­spürte. Bis auf Susanne Bürner, die mit Vanishing Point: How to disappear in America without a trace 2006 sogar einen „Ratgeber“ dafür herausgegeben hat, beschäftigt sich kein/e KünstlerIn damit, buchstäblich zu verschwinden. Ab­wesenheit, Auslöschung, zentrale Fragen nach (subjektiver) Wahrnehmung, visueller Darstellbarkeit und nach (fehlender) Funktionalität sowie Trugbilder und Illusion waren die Themen, die verhandelt wurden. Das Verschwinden, die Ambivalenz zwischen Präsenz und Absenz, in den Fokus zu stellen, ist in der visuellen Kunst nach wie vor ein Grenzgang, der die Asso­ziationsfähigkeit der BetrachterInnen fordert und das Medium „Ausstellung“ kritisch beleuchtet.