To a certain degree sacredness is in the eye of the beholder – Act V
Stefania Strouza

Stefania Strouzas künstlerische Praxis hat sich in den letzten Jahren zwischen Wien und Athen entwickelt. In ihren Arbeiten befasst sie sich mit politischen Räumen, ästhetischen Praxen und immanenten Ambiguitäten und adressiert Konflikte innerhalb dieser Verbindungen. Mit Hilfe unterschiedlicher Medien versucht die Künstlerin Objekte und Räume mit existierenden sozialen und kulturellen Narrativen zu verbinden und untersucht, wie diese schrittweise in einen Zustand des Dialogs abstrahiert und transformiert werden können. Sie arbeitet mit skulpturalen und strukturellen Momenten, architektonischen Konstruktionen und Inszenierungen. Stefania Strouzas OEuvre zeugt von einer Offenheit gegenüber unterschiedlichen Disziplinen, changierend zwischen westlich bzw. östlich geprägten Vorstellungen und Bildsprachen. In ihren neuesten Werken untersucht sie das Verhältnis von modernistischem Vokabular und seiner fragmentierten historischen und subjektiven Untermauerung.
Die in Griechenland geborene Künstlerin zeigte in ihrer Einzelausstellung in der Neuen Galerie die Rauminstallation To a certain degree sacredness is in the eye of the beholder – Act V. Diese ist eine fortlaufende, sich in aufeinanderfolgenden Versionen oder Akten artikulierende Arbeit. Den Ausgangspunkt für das Projekt bilden zwei Reisen: Die Reise bedeutender Vertreter des Modernismus 1933 nach Athen für den vierten „Congrès Internationaux d’Architecture Moderne“ (CIAM), und jene von Euripides’ Medea im Film von Pier Paolo Pasolini aus dem Jahr 1969 mit Maria Callas in der Hauptrolle. Die Reihe von internationalen Kongressen für Neues Bauen (von 1928 bis 1959) bestimmte die Städtebaudiskussionen und die Entwicklung der modernen Architektur.1 Das Schiff Patris II brachte 1933 von Marseille aus etablierte Köpfe der Avantgarde – etwa Le Corbusier, László Moholy-Nagy, Otto Neurath und Fernand Léger – und junge aufstrebende Architekten nach Athen, damit sie auf der Reise über die „Funktionale Stadt“ diskutierten. Die Fahrt durch die Ägäis markiert aber auch eine geografische und inhaltliche Verschiebung des Fokus der CIAM. Man wandte sich ab von der Mitte Europas und hin zur Méditerranée, zu den vernakulären Bauten der griechischen Dörfer mit ihren weißen Kuben, und den ur-architektonischen Idealen der antiken Tempel. Auch für all jene, die nicht dabei sein konnten, beschwor das weiße Schiff das Bild einer Arche, auf der die Ideen der Moderne durch die schweren Stürme der Kriegsjahre kommen konnten.2 Der Kongress beeinflusste griechische KünstlerInnen der Zeit und warf gleichzeitig Fragen nach dem auf, was griechische Moderne ist. 36 Jahre später inszenierte der italienische Regisseur Pier Paolo Pasolini eine filmische Reise. Es ist eine freie Bearbei-tung eines altgriechischen Mythos und beruht auf der litera-rischen Vorlage des Euripides aus dem Jahre 431 v. Chr. Im Film zeigt Pasolini unter Verwendung von Motiven des Medea-Mythos und der Argonautensage das Aufeinandertreffen zweier Kulturen. Die Unvereinbarkeit dieser Kulturen lässt die Beziehung der beiden Hauptfiguren, des pragmatisch-rationalistischen Griechen Jason und der archaisch-animistischen Priesterin Medea, in einer blutigen Tragödie enden.3
Im Projekt To a certain degree sacredness is in the eye of the beholder setzt Stefania Strouza diese beiden Reisen – eine historische und eine filmische, eine von West nach Ost, eine von Ost nach West – in einen größeren Dialog zur griechischen Moderne. Unter Verwendung dieser Narrative als „Baumaterial“ hat die Künstlerin eine Reihe skulpturaler Inszenierungen geschaffen. Die in Zusammenhang stehenden Arbeiten lassen unterschiedliche Assoziationen zu: von modernistischem Design, primitiver Kultur von einer Gruppe hybrider Konstruktionen, die zwischen Funktionalität, Dekoration und Abstraktion pendeln, bis zu geografischen Verortungen. Diese fragilen Momente dienen als stille Wegweiser, die auf symbolische Weise das Zusammentreffen von Ost und West thematisieren, wo die Tradition der Bildsprache der Antike auf ein modernes europäisches Verständnis der Welt trifft. Stefania Strouza inszenierte in der Neuen Galerie den 5. Akt von To a certain degree … In Act V erlangen die einzelnen Arbeiten einen vermittelnden Charakter als latente Präsenzen, schweigende Mentoren, die auf einen grundlegenden kulturellen Zwist hinzudeuten scheinen. Die Affinität von Architektur, Skulptur und Textil nutzte sie als eine Art Bühnensetting.
Im Fenster zum Gang platzierte die Künstlerin eine Skulptur, die man wie in einem Guckkasten von außen betrachten konnte. In der ersten Szene des 5. Aktes wurde das Objekt aus Beton in der Miniaturbühne selbst zur architektonischen Form, das an ein Architekturmodell oder an ein Versatzstück einer griechischen Säule erinnerte. Ähnliche Betonskulpturen fanden sich in unterschiedlichen formalen Ausführungen in den einzelnen räumlichen Szenen der Ausstellung. Sie verwiesen auf Formen, die unterstützen oder unterstützt werden, aber teilweise noch nicht fertig scheinen. Im Eingangsbereich hängten, bevor man die weiteren Szenen betrat, eine Reihe von Fotografien, die Stefania Strouza in dieser Form erstmals im Rahmen einer Ausstellung präsentierte. Diese konnten sowohl als Einführung in das Werk der Künstlerin als auch als Einleitung zum 5. Akt verstanden werden. Für eine frühere Arbeit, Black Athena, fertigte sie Tonabdrücke von einer Miniaturstatue der griechischen Göttin Athena, scannte diese und druckte die Scans auf Fotopapier. Diese Serie von drei Fotografien hängte zwischen einer Reihe von Collagen, die aus Standbildern des Dokumentarfilms der CIAM-Reise nach Athen von László Moholy-Nagy montiert wurden.4 Screenshots werden als positives und negatives Bild verwendet, gespiegelt und ebenfalls auf Fotopapier gedruckt. Die Künstlerin wählte dafür drei Aufnahmen des Films, in denen das Schiff gerade den Kanal von Korinth passiert. Stefania Strouza suchte bewusst diesen Moment der Durchquerung des Kanals aus, weil er auch symbolisch für den Übergang von West nach Ost steht. Die Reduktion der Bilder auf skulpturale und strukturelle Abstraktionen leitete direkt auf die Szenen in den weiteren Galerieräumen über. Die Collagen des Dokumentarfilms erinnern an die Struktur von Skeletten, die sich in den skulpturalen Elementen aus Metall wiederfinden, und die Oberflächen der Fotografien der Athena erinnern an die Haptik von Haut als Referenz zu den verwendeten textilen Materialien. Frei im Raum stehend oder an der Wand hängend fanden sich Objekte aus Metall, die in unterschiedlicher Art mit textilem Material kombiniert oder bespielt wurden.
Die Reihe skulpturaler Inszenierungen nahm direkt Bezug auf die Architektur der Galerieräume. Als Ausgangspunkt für die Größe der Objekte aus Metall verwendete die Künstlerin das Proportionsschema „Le Modulor“ von Le Corbusier. Schon Vitruv hatte auf das Vorbild der menschlichen Figur für die Architektur der Tempel hingewiesen.5 Le Corbusiers „Modulor“ kann als der bedeutendste moderne Versuch gesehen werden, der Architektur eine am Maß des Menschen orientierte mathematische Ordnung zu geben.6 Dieses Schema, ursprünglich auf einen Menschen mit einer Körpergröße von 1,83 Metern ausgerichtet, brach Stefania Strouza auf das Maß ihres Köpers herab und setzte es ins Verhältnis zum vorgefunden Raum und den umlaufenden vorgesetzten Wänden der Galerie. Die Künstlerin experimentierte in ihren Arbeiten schon öfter mit unterschiedlichen Textilien und verwendete für diese Ausstellung künstliches, bronzefarbenes Leder. Dieser Stoff hat Ähnlichkeiten in der Struktur und Haptik zur menschlichen Haut und weißt andererseits auf die Antike (z. B. das Goldene Vlies) hin. Die Stoffbahnen bedruckte Stefania Strouza händisch mit einem Muster, das an mythologische Vorlagen denken lässt, mit Acrylfarbe. Es handelt sich um den originalen Schriftzug „Medea“ aus dem Pasolini-Film. Die Textilien wurden einerseits für ein bühnenartiges Setting als Vorhänge verwendet. Andererseits fanden sie sich als Schnittmuster für Gewänder, die für festliche Anlässe, Zeremonien oder Aufführungen verwendet werden (könnten). Trug etwa Maria Callas eines dieser Gewänder für den Film Medea? Oder die Künstlerin bei einer Performance, die schon stattfand oder noch stattfinden wird? Im letzten Raum schloss sich die Bühne zu einem Raum im Raum als letzte Szene im 5. Akt von To a certain degree sacredness is in the eye of the beholder.
Stefania Strouza lud die BesucherInnen im 5. Akt auf eine Reise zwischen Ost und West und zur Auseinandersetzung mit der Moderne auf beiden Seiten des Kanals von Korinth ein.
Text: Cornelia Reinisch-Hofmann
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1 Vgl. Daniel Weiss, Bestandesbeschrieb CIAM, in: Website des gta Archivs / ETH Zürich, Dezember 2009, www.archiv.gta.arch.ethz.ch/sammlungen/ciam/ informationen. (09.06.2015)
2 Vgl. Gregor Harbusch, Kreuzfahrt der Moderne, Baunetzwoche#395, 29.01.2015 (www.baunetz.de, 09.06.2015), S. 8-18.
3 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Medea_%281969%29 (09.06.2015)
4 Video: www.ciam4.com/video-en/ciam-4-filmed-by-laszlo-moholy-nagy/, Mai 2015
Mai 2015
5 Vgl. Paul von Naredi-Rainer, Architektur und Harmonie. Zahl, Maß und Proportion in der Abendländischen Baukunst, Köln 1999, S. 84.
6 Vgl. Paul von Naredi-Rainer, Architektur und Harmonie, S. 101.
Eröffnung: 10.06.2015, 19.00
Begrüßung: Carmen Brucic, Vorstandsmitglied Tiroler Künstlerschaft
Einführung: Cornelia Reinisch-Hofmann